1.000 Tage mit Elektroauto

Ungefähr drei Jahre ist es jetzt her, dass wir als Familie zum ersten Mal in ein Elektroauto gestiegen sind. Seit 1000 Tagen sind wir jetzt elektrisch unterwegs. Ums konkret zu machen: Mit dem Nissan Leaf, einem der ersten leistbaren E-Autos, die es am Markt gegeben hat. Knapp 100.000 Kilometer haben wir in dieser Zeit als Familie auf der Straße zurückgelegt, in denen wir manchmal sofort, manchmal auch erst nach einiger Zeit auf Vorteile und Kritik rund um ein Elektroauto draufgekommen sind. Unser ganz persönlicher Erfahrungsbericht…

“Und? Wie weit kommt ihr mit dem Leaf?”

Die meistgestellte Frage, die wir von Freunden hören, die kein E-Auto haben: „Und? Wie weit kommt ihr damit?“ Die einzig wahre Antwort ist: Das kommt darauf an. Wie beim Benzin- oder Dieselauto auch verbraucht man bei höherem Tempo, bei starken Anstiegen oder Gegenwind mehr Sprit oder Strom. Unsere Erfahrung mit dem Nissan Leaf mit einer 62kWh-Batterie: Beim klassischen Pendeln vom niederösterreichischen Wienerwald nach Wien und zurück – in unserem Fall täglich 72 Kilometer täglich hin und retour – brauchen wir nach einer klassischen Fünf-Tage-Arbeitswoche erst am Wochenende wieder aufladen, wenn wir keine zusätzlichen Strecken fahren. Die 360 Kilometer in der Stadt und auf Landes- & Bundesstraßen sind also gut drinnen.

Anders ist das auf der Autobahn: Ab einer Geschwindigkeit von über 100 km/h steigt der Verbrauch, wie auch bei einem Verbrennermotor, deutlich. Unsere persönliche Überschlagsrechnung für längere Fahrten auf Autobahnen macht sich immer an zwei Punkten fest, je nachdem in welche Richtung wir fahren. Richtung Westen kommen wir vom Wienerwald auf der A1 bis Mondsee. Richtung Süden gehts mit einer Ladung auf der A21 und A2 bis Graz. Das sind von uns daheim jeweils gut 230 Kilometer mit 130km/h. Sowohl in Mondsee als auch in Graz gibts Schnellladestationen, wo man innerhalb einer gemütlichen Kaffeepause wieder nachladen kann, damit die Fahrt schnell weitergeht.

Viele fragen uns dann auch: „Und im Winter? Wieviel weniger Reichweite hast Du da?“ Unsere Erfahrung: Da gibts nicht extrem viel Unterschied. Wir wissen, manche E-Autofahrerinnen und -fahrer von anderen Marken und Modellen haben auch andere Erfahrungen. Aber mit dem Nissan Leaf war der Unterschied zwischen Winter und Sommer bei uns nicht besonders groß. Ja, wenn es einmal minus 20 Grad hat, braucht der Leaf natürlich auch mehr Strom, aber so kalt wars in den letzten drei Wintern in unserer Gegend nicht oft. Was wir aber wirklich merken ist die Beladung: Wenn wir im Sommer die Fahrräder am Dachträger haben, dann steigt der Verbrauch unserer Erfahrung nach um 20 Prozent. Das ist zwar beim Diesel- oder Benzinmotor genauso, beim Elektroauto fällt es aber durch die viel genauere Anzeige deutlicher auf. Mit Ski & Snowboard am Dach ist es bei uns nicht so auffällig, da sinds schätzungsweise zehn Prozent mehr Verbrauch.

„Und? Wie kostet das Laden?” 

Die am zweithäufigsten gestellte Frage ist eindeutig die nach den Kosten. Und das war für uns auch die überraschendste Erkenntnis nach 1000 elektromobilen Tagen: Das E-Auto hat uns deutlich weniger gekostet als ein Verbrenner in der selben Zeit. Ja, die Strompreise sind in den letzten Monaten massiv gestiegen. Aber wir haben den Nissan Leaf fast ausschließlich daheim aufgeladen – übrigens ohne in eine Wallbox zu investieren, sondern einfach an einer überprüften (!) Steckdose am Haushaltsstrom. Und der ist auf den Kilometer umgerechnet trotz der Preissteigerungen immer noch viel günstiger als Diesel oder Benzin. Außerdem haben wir daheim eine Photovoltaikanlage am Dach. Dadurch produzieren wir die „Tankladung“, vor allem in der helleren Jahreshälfte zu einem Gutteil selbst.

Per Steckdose aufladen ist zwar bei E-Autos die langsamste aller drei „Tankvarianten“. Die meisten Menschen in Österreich fahren aber durchschnittlich nur 40 Kilometer pro Tag, bei uns in der Familie sind es ohnehin doppelt so viele. Wenn der Leaf also klassischerweise ungefähr sechseinhalb Stunden pro Tag an der langsamsten Steckdose im Carport hängt, ist unser täglicher Durchschnittsverbrauch von knapp 80 Kilometern längst wieder “aufgetankt”.

Anders ist das, wenn man nicht daheim sondern auf Ladesäulen auflädt. Und damit sind wir auch schon beim größten Kritikpunk, der uns nach fast drei Jahren mit einem Elektroauto am meisten auffällt: Die Ladeinfrastruktur in Österreich. Grundsätzlich gibt es drei Varianten, ein E-Auto öffentlich aufzuladen. Einmal die Schnellladestadionen, die vor allem entlang der Autobahnen und Schnellstraßen zu finden sind und bei denen man innerhalb einer gemütlichen Kaffeepause wieder schnell von 0 auf 80 Prozent der Ladung kommt (die letzten 20 Prozent drosseln die Stationen aus technischen Gründen die Ladegeschwindigkeit wieder ein bisschen). Die weiteste Strecke, die wir einmal mit dem Nissan Leaf gefahren sind, war gut 700 Kilometer von Wien in die Berge von Liechtenstein.

Es gibt mittlerweile ja eine Reihe von Apps am Smartphone, die einen die taktisch klügste, schnellste & effizienteste Strecke inklusive Ladesäulen direkt an der Strecke ansagt. Diese Apps funktionieren wie Google Maps, aber eben optimiert für E-Ladestationen („Charge Now“, „Shell Recharge“ oder „Chargemap“ sind unsere aktuellen Favoriten, alle drei sind kostenlos). Von Wien nach Liechtenstein haben uns die Apps über Bayern geschickt und die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die Ladestationen dort sind mit wesentlich mehr Power (spricht Geschwindigkeit) ausgestattet, haben oft nicht nur eine Ladesäule sondern gleich zehn oder 20 in einer Reihe und sind oft auch mit einer Umgebung kombiniert, die nicht so überteuert ist wie viele Raststationen an österreichischen Autobahnen.

Vor allem: Warten auf eine freie Lademöglichkeit ist uns in Bayern nicht einmal ansatzweise passiert. In Österreich kann das, zum Beispiel auf unserer meistbenutzten Lieblings-Schnellladestation Mondsee in der Hauptreisezeit schon einmal der Fall sein. Da müssten entweder Stromanbieter oder Gesetzgeber schnell nachbessern, wenn sie den Trend zum E-Auto unterstützen wollen. Denn mit den Schnellladestationen machen sie ja auch ein gutes Geschäft. Dort ist das Aufladen mit Abstand am teuersten. Unsere Erfahrung: Wer nur auf Schnellladestationen lädt, wird sich im Vergleich zu Diesel- oder Benzinmotor pro Kilometer nichts ersparen.

Die anderen beiden Möglichkeiten, ein E-Auto öffentlich zu laden, gibt es auf klassischen Ladesäulen, die längst nicht nur in größeren Städten sondern auch in vielen kleinen Orten in Österreich stehen. Einerseits gibt es dort klassische Steckdosen zum Laden, die günstigste aber auch langsamste Variante, wie oben beschrieben. Die meistbenutzte Möglichkeit sind aber die Typ-2-Stecker, der Standard in Europa. Würden wir den Nissan Leaf dort bei 0 Prozent Strom abstellen, wäre er schätzungsweise in ungefähr fünfeinhalb Stunden wieder zu 100 Prozent voll. Gemacht haben wir das in unseren 1000 elektromobilen Tagen aber nur einmal, als wir an den Klopeinersee in Kärnten in den Urlaub und die Batterie dabei wirklich fast leergefahren sind. Der Leaf war nach ein paar Stunden wieder voll, während wir am See baden und Abendessen waren. Wir haben allerdings vergessen, ihn vor dem Schlafengehen abzustecken und umzuparken. Ergebnis: Das Auto ist 18 Stunden angesteckt gewesen und die Stromanbieter verrechnen das tatsächlich – auch wenn nicht einmal sechs Stunden davon wirklich Strom in den Leaf geflossen sind. Wichtige Erkenntnis, auf die alle mit einem E-Auto schnell draufkommen: Der Großteil der Ladesäulen verrechnet einen Minutentarif. Je länger man die Ladesäule „blockiert“, desto mehr zahlt man.

Wir hätten also beim Abendessen, als uns die Nissan-App angezeigt hat, dass der Leaf an der Ladesäule am Parkplatz draußen vollständig geladen ist, gleich abstecken sollen. Dann hätte diese Voll-Ladung damals nicht unverschämte 180 Euro auf einer ohnehin schwer überteuerten Ladesäule eines Hotels, sondern halbwegs vertretbare fünfzig Euro gekostet. Aber man lernt ja dazu…

Überraschungen mit dem Leaf

An und für sich haben wir uns das Leben mit einem Elektroauto gar nicht recht lange ausmalen können. Wir haben den Nissan Leaf damals fast über Nacht bekommen, weil unser vorheriges (Diesel-)Auto einen Motorschaden hatte und schnell ein Neues hermusste. Die größte Überraschung, die wir selbst mit dem Leaf erlebt haben, betrifft seine Größe. Als wir vor knapp drei Jahren zum ersten Mal damit aufgetaucht sind, haben uns viele Bekannte gefragt, ob uns der Leaf als vierköpfige Familie nicht zu klein sei. Zugegeben: Das war auch eine unserer Befürchtungen. Ja, der Nissan Leaf schaut von außen vergleichsweise kompakt aus. Wer aber den Kofferraum von innen sieht, ist erstaunt, wieviel da reinpasst. Wir sind ja eine Familie, die vor allem im Winter viel im Schnee unterwegs ist, wo man tendenziell mehr und dickeres Gepäck hat. Das geht sich mit zwei Koffern, zwei Skischuhtaschen und meistens auch noch zwei Reisetaschen und einem Rucksack aus. Dann ist der Leaf zwar hinter uns vier Passagieren richtig gut gefüllt, das darf er aber auch sein.

Was wir uns überhaupt nicht vorstellen konnten, war die Ruhe eines Elektroautos. Wer auf Motorengeräusche gut verzichten kann, kann auf einmal fast so etwas wie Stille genießen. Wenn ich allein im Leaf unterwegs bin, nutze ich die Fahrten oft für Telefonate. Es kommt nicht selten vor, dass das Gegenüber überrascht ist, wenn ich ihm oder ihr sage, dass ich gerade im Auto sitze. Hörbar ist das im Innenraum und am anderen Ende der Leitung oft nicht. Damit der Leaf übrigens vor allem von Fußgängern und Radfahrern im Stadtverkehr gut gehört wird, produziert er außen Geräusche in speziellen Frequenzen – übrigens auch mit einem Spezialgeräusch beim Rückwärts-Ausparken, was die Verkehrssicherheit neben den beiden Kamerabildern (von der Rückfahrkamera und der Überblickskamera von oben) am Display noch einmal erhöhen soll.

Was wir uns auch nicht so ausgemalt hätten, ist der Fahrkomfort: Es gibt kein Gangschalten, der Weg beim Beschleunigen geht komplett ruhig durch, noch weit smoother als bei einem Automatikgetriebe. Der Leaf hat serienmäßig eine Bose-Soundanlage eingebaut (ich hätte mir nie gedacht, dass mir sowas auffällt, aber wenn ich am Weg ins Studio um 3.00 Uhr früh Musik höre um richtig wach zu werden, ist so ein Klang schon was sehr Feines). Spurhalteassistent und Tempomat mit automatischem Abstandhalter machen vor allem längere Autofahrten auch wesentlich bequemer. Und wer darauf steht, einen lautstarken GTI-Fahrer, der unbedingt der Schnellste sein möchte, links liegen zu lassen, wenn die rote Ampel auf grün umschaltet, wird auch seine Freude haben. Der Nissan Leaf ist in 6,9 Sekunden von null auf hundert und hätte umgerechnet 217 PS. Nachdem wir das aber nie brauchen, haben wir selbst uns fix den „Eco“-Modus eingestellt, was den Stromverbrauch im Alltagsverkehr noch einmal senkt.

Unser Lieblings-Feature ist das E-Pedal. So nennt sich ein Button im Leaf. Wenn der aktiviert ist, braucht die Fahrerin oder der Fahrer nur mehr sehr selten zu bremsen. Wer vom Gaspedal geht, bringt das Auto zum Stillstand. Das hat den Vorteil, dass dieses Fachvokabel namens Rekuperation optimal ausgenutzt wird. Auf Deutsch: Immer, wenn der Nissan Leaf nicht beschleunigt, nutzt er die Energie des Bremsens, um die Batterie wieder aufzuladen. Das funktioniert beim Bergab-Fahren, aber auch wenn man im ebenen Straßenverkehr das Tempo reduziert oder vor einer Ampel stehen bleibt. Das geht übrigens soweit, dass wir einmal auf der 13 Kilometer langen Strecke von Hintertux nach Mayrhofen im Tiroler Zillertal die Batterie um zusätzliche sieben Prozentpunkte aufgeladen haben anstatt was zu verbrauchen, weil es zwischen den zwei Orten fast 650 Meter Unterschied in der Seehöhe gibt und der Leaf eben bergab die Bremsenergie in Akkuladung umwandelt.

Fazit

Als wir vor 1000 Tagen von Diesel- auf Elektroauto umgestiegen sind, waren wir gespannt bis leicht skeptisch. Einerseits wollten wir unbedingt was für die Umwelt tun und nicht länger beim täglichen Pendeln zwischen Wienerwald und Wien eine halbe Tonne CO2 pro Monat in die Luft schleudern. Andererseits sehen wir das Auto auch als Gebrauchsgegenstand, der in unser Leben passen und es im Zweifel erleichtern muss und nicht verkomplizieren darf. Im normalen Alltag ist das auch so aufgegangen. Das tägliche (in meinem Fall nächtliche) Pendeln zwischen Haus und Arbeit ist wesentlich bequemer geworden. Über die Reichweite brauchen wir dabei nicht nachzudenken, die Kosten von Strom sind für diese Strecke immer noch wesentlich günstiger als Diesel oder Benzin, wenn wir den Leaf einmal in der Woche daheim an der Steckdose aufladen.

Längere Fahrten, zum Beispiel in den Urlaub, haben sich aber schon ein bisschen verändert. Ungefähr alle zwei oder zweieinhalb Stunden auf der Autobahn machen wir eine Ladepause. Früher hätten wir mit einem Verbrenner da wahrscheinlich eine Fünf-Stunden-Fahrt durchgezogen und versucht, dass unsere zwei Kids im Auto möglichst entertained sind. Jetzt machen wir zum Laden eine Pause und kombinieren das meistens mit einer Kaffee-/Kakao-/Essens- oder Bewegungspause. Klar, das verlängert insgesamt die Zeit des Unterwegs-Seins. Aber es nimmt auch den Druck heraus, eine bestimmte, sehr lange Strecke unbedingt in einer Bestzeit zurücklegen zu müssen, was unsere Autofahrten meistens entspannter macht. Auch wenn Österreich bei den öffentlichen Ladesäulen noch sehr viel Luft nach oben hat: Hier hat sich in den knapp drei Jahren, in denen wir den Nissan Leaf jetzt gefahren sind, schon sehr viel weiterentwickelt. Den Umstieg von Diesel- auf Elektroauto bereuen wir nicht. Auch wenn der Leaf jetzt nach diesem Tausend-Tage-Test wieder an Nissan zurückgeht.

Disclaimer: Nissan Österreich (Astara Austria) hat uns in den letzten 1000 Tagen abwechselnd mehrere Varianten des Nissan Leaf zur Verfügung gestellt. Dieser Artikel entspricht den tatsächlichen Erfahrungswerten, die wir damit als Familienauto gemacht haben und ist kein Testbericht, den Nissan in Auftrag gegeben, finanziert oder korrigiert hat.