Hilfe, unser Kind wird Skispringer!

Es gibt ja wirklich seeehr ungewöhnliche Hobbies. Sumpfschnorcheln ist zum Beispiel so eines. Brennnessel-Essen. Oder Extrem-Bügeln.
Erwachsene können Sinn, Erfüllung und Gefahr eines jeden Hobbies ja wirklich selber abschätzen. Wenn sich ein Kind zu einem ungewöhnlichen Hobby entscheidet, müssen wohl oder übel Mama und/oder Papa mitspielen. Und so kam es, dass unser Theo seit Monaten von seinem auserwählten Hobby spricht: Skispringen. Mit fünfeinhalb Jahren, wohlgemerkt.

Mamas und Papas wissen, wie schnell die Begeisterung bei Kinder in diesem Alter kommen und wie schnell sie auch wieder gehen kann. Ein paar Wochen sind die Superwings-Flieger angesagt, dann sind sie wieder völlig uncool und werden durch Cars-Autos ersetzt. Zack, weg, nächstes bitte. Und als genau das, nämlich als vorübergehende Begeisterung, haben wir anfangs auch Theos Idee mit dem Skispringen eingestuft.

Unser Theo wird jetzt Skispringer.

Der Opa ist an allem schuld

Schuld ist ja eigentlich Theos Opa. Sepp – das ist Christinas Papa, also mein Schwiegervater – ist begeisterter Fernsehsportler. Kaum eine Wintersportübertragung, die er in den letzten 50 Jahren nicht live im Fernsehen gesehen hat. Als Theo noch ganz klein war, hatte Opa eine Knie-OP und Theo durfte mit seinen damals zwei Jahren mit Opa immer wieder Abfahrten, Super Gs, Riesentorläufe, Slaloms und natürlich die Vierschanzentournee schauen. Seither erzählt Theo seinen Kindergartenkollegen von Ryoyu Kobayashi, Tilen Bartol oder Taku Takeuchi – Skispringern, die wirklich nur eingefleischten Weltcup-Zuschauern was sagen. Gregor Schlierenzauer, Stefan Kraft und Michi Hayböck – also unsere heimischen Adler – kennt ja jeder. Sich über die zu unterhalten – dazu muss man kein Insider sein. Ein bissl musste Theo ja sein Expertenwissen zeigen.

Nachdem wir (und ich schreibe absichtlich wir, weil ich Skiübertragungen auch liebe) Skisprungbewerbe im Fernsehen angeschaut haben, haben wir auch regelmäßig im Wohnzimmer einen Balken aufbauen müssen, damit Theo mit seiner Fantasie Skispringen konnte. So weit, so (halbswegs) normal.

Als Sohn einer ehemaligen Skilehrerin ist Theo das Skifahren auf der echten Piste ja auch in die Wiege gelegt worden. Das war also immer selbstverständlich für ihn. Was er aber gar nicht leiden konnte, war, dass Mama, Papa, Omas und Opas seiner liebsten Frage eher ausgewichen sind. „Ab wann darf ich denn in ein Kinderskisprung-Training gehen?“ Opas Standardantwort: „Ab acht oder neun, vielleicht auch zehn, vorher darf man nicht.“ Ehrlich gesagt, wussten wir es alle nicht. Und wir haben uns auch nicht erkundigt. Die Frage hat Theo trotzdem in regelmäßigen Abständen wieder gestellt.

Ab auf die Matte!

Eines Tages lese ich in der Zeitung, dass ausrechnet in Wien ein Skisprungklub ein Probetraining für Kinder veranstaltet und erzähle Theo unbedachterweise davon. Er will natürlich sofort hin. Und ich ziehe gleich die Notbremse: „Ich ruf’ dort einmal an, ab welchem Alter man hingehen kann.“ Hoffend, dass Theo das Probetraining wieder vergisst, verhalte ich mich still, frage aber nach. Die Antwort: Vor dem neunten Geburtstag sind Kinder nicht zugelassen. Wieder hoffend, dass Theo das versteht, hole ich ihn also am nächsten Tag vom Kindergarten ab und sage ihm das. In einem Anflug von akuter Emotionalität in der Kindergartengarderobe macht er mir aber klar, dass er das absolut nicht versteht, geschweige denn akzeptiert. Theo weiß, wie er mich rumkriegt. Und ich willige ein, dass wir zum Zuschauen zu diesem Probetraining auf Schneematten auf der Hohen-Wand-Wiese in Wien fahren.

Das ist jetzt genau vier Wochen her. Und seither ist alles anders. In Theos Leben und in dem von mir, der ihn zum Training bringen darf, auch.

Bei diesem Schnuppertraining durfte er trotz des Alterslimits von neun Jahren auch mit seinen fünfeinhalb auf den Simulator. Dort haben die Trainer gesehen, dass er für sein Alter angeblich sehr sprungstark ist – und wie ich finde – sehr furchtlos, weil er sich auf diesem Simulator runtergeworfen hat, also würde er seit Jahren nichts anderes machen. Die Trainer haben ihn probeweise sogar auf die Schneematten gelassen. Zuerst auf die kleine zehn Zentimeter hohe Schanze, dann auf die mit 20 Zentimetern, dann eine, die schon 30 Zentimeter hoch war.

Zwischendurch ist irgendwann einmal von einem Betreuer der Satz gefallen: „Naja, normalerweise fängt unter sieben keiner mit dem Skispringen an, eher mit acht oder neun. Aber Theo ist körperlich so weit, da könnten wir eine Ausnahme machen.“ Mehr hat Theo nicht hören müssen. Dass es beim Schnuppertraining bleiben könnte, war keine Option mehr. Skispringen ist die Sportart, die er jetzt möglichst täglich ausüben will.

Jetzt sind wir als Eltern ein bissl gespalten. Einerseits ist seine Euphorie, seine Begeisterung, sein Wille, natürlich ansteckend. Andererseits hatte Theo noch nicht einmal seinen sechsten Geburtstag, ist also eigentlich zu jung zum Skispringen. Wie die allermeisten Eltern wollen wir seine Leidenschaft natürlich fördern, wir wollen aber auch nicht, dass er da in einen Leistungsdruck reinkommt, den er in diesem Alter wirklich noch nicht braucht.

Fördern oder auf die Bremse steigen?

Irgendwie setzt sich in mir aber ein Gedanke an mich selbst durch. Wie oft hab’ ich von irgendjemandem gehört , dass ich für etwas zu jung bin. Fürs Klavierspielen, fürs Bandgründen, für ein Radiopraktikum, für eine eigene Sendung, fürs Nachrichten-Moderieren, für eine tägliche Sendung. Das hat mich immer geärgert und ich wollte denen, die das gesagt haben, immer das Gegenteil beweisen. Und so hab’ ich mich breitschlagen lassen: Ja, Theo soll mit dem Skispringen anfangen. So lange es ihm Spaß macht und er so begeistert dabei ist, bitteschön.

Mittlerweile waren wir in fünf Sprungtrainings und letztes Wochenende sogar auf einer echten Skisprungschanze. Die Wiener Stadtadler, der größte Nachwuchs-Skispringer-Klub in unserer Umgebung, trainiert in Mürzzuschlag in der Steiermark. Weder das Land Niederösterreich noch die Stadt Wien haben eigene Schanzen. Als Oberösterreicher würde sich zwar Hinzenbach, Höhnhart oder Bad Ischl anbieten. Nachdem wir aber jobbedingt im Wienerwald in Niederösterreich wohnen, ist Mürzzuschlag näher. Und es ist ja auch die Hausschanze der Stadtadler. Der Verein hat Theo trotz seine Alters die Chance gegeben – und ist, wie wir mittlerweile wissen, für seine Nachwuchsarbeit ausgezeichnet worden. Nach den ersten Trainings wissen wir wieso. Deswegen kommt kein anderer Verein in Frage.

Beim ersten Anblick der Ganzsteinschanzen in Mürzzuschlag bin ich noch davon ausgegangen, dass Theos Skispringerkarriere noch vor dem ersten Sprung auf Eis gelegt wird. Nicht wegen der minus 9 Grad am Schanzentisch, sondern weil Theo normalerweise durchaus Grenzen in Sachen Mut kennt. Aber ich habe mich getäuscht. Nach zwei Fahrten über die steile Aufsprungbahn hin zum Auslauf hat er Trainer Bernhard schon gefragt, ob er jetzt endlich springen darf. Wir reden hier natürlich noch lange nicht von einer Weltcupschanze, wie wir sie alle aus dem Fernsehen kennen. Die erste der vier Schanzen ist eine K8, wie wir gelernt haben. Vereinfacht gesagt heißt das, wer auf dieser Schanze weiter als acht Meter springt, kann bei der Landung nur mehr schwer stehen. Acht Meter sind aber für ein Kind, das noch keine 120 Zentimeter groß ist, eine gewaltige Weite.

Letzte Anweisungen von Trainer Bernhard.

Ziiiiiiiiiiieh!

Endlich ein echter Skispringer!

Dazukommen ein Skispringeranzug – ein Highlight für Theo. Und natürlich echte Sprungski, also breite, sehr lange Latten ohne Kanten. Auch darauf muss man sich erst einmal zurechtfinden. Alles das gehört jetzt zu unserem Trainingsgerät. Und natürlich schielt Theo von der K8 – oder Guglhupfschanze, wie sie die Trainer liebevoll nennen – schon auf die anderen drei Schanzen rüber. K18, K28 und K55 heißen die dann. Die Weiten kann man sich leicht ausrechnen.

Für Theo das Wichtigste: endlich die richtige Ausrüstung.

Mir macht das ehrlich gesagt auch ein bissl Angst. Schätzt sich Theo da selbst auch richtig ein? Hat er auch sicher Spaß dran und macht das nicht nur, um mit all den anderen Mädels und Burschen in seiner Trainingsgruppe mitzuhalten, die mindestens zwei oder drei Jahre älter sind als er?

Wahrscheinlich lernen Mamas und Papas dabei genauso viel wie Kinder. Nur heißt unsere Disziplin nicht „Skispringen“ sondern „Gelassenheit“. Oder: „Einfach einmal machen lassen.“ Trainer gibt’s da keine. Aber die Disziplin ist auch spannend. Und mir ist sie lieber als Brennnessel-Essen. Oder Extrem-Bügeln. Oder Sumpfschnorcheln.