Ein Jahr Skispringen: Das haben wir gelernt

Seit einem Jahr ist unser Theo jetzt Skispringer. Ja, tatsächlich. Seit mehr als 365 Tagen verbringen wir gefühlt mehr Zeit im Auto, an unterschiedlichsten Sprungschanzen und in Turnhallen als daheim.

Was natürlich so nicht ganz stimmt….;-)

Schon klar: Jeder Sport, der gewissenhaft betrieben wird, ist zeitaufwendig. Wenn man sich aber noch dazu einen Sport aussucht, bei dem es unbedingt notwendig ist, steile Anläufe auf sehr langen Ski hinunterzurasen, um dann auf noch steileren Ausläufen zu landen, muss man durchaus längere Wegstrecken in Kauf nehmen. So eine Schanze steht schließlich nicht in jedem Vorgarten. Theo hat sich also ein sehr zeitintensives und auch relativ nervenaufreibendes (zumindest für die Angehörigen) Hobby ausgesucht. Und trotzdem haben wir es bisher keinen Tag bereut. Und ich sag’ Euch auch warum.

Nervenkitzel: Theo kurz vorm Absprung

Erziehungsregeln über Bord werfen

Schon in der Schwangerschaft nimmt man (besser frau) sich vieles vor. Niemals wird das Kind Zucker bekommen und schon gar keinen Schnuller. Gestillt wird ohnehin bis zum Schulanfang und der Nachwuchs schläft fix im eigenen Zimmer. Wo kämen wir denn da hin, wenn das Kind das eigene Leben so auf den Kopf stellen würde. Nicht mit uns! Und unmöglich diese Kinder, die sich im Supermarkt dieses Zuckerwasser aussuchen und diese Eltern, die das auch noch erlauben. Bei uns wird das alles gaaaanz anders, weil wir nämlich die Erziehungsgroßmeister sind.

Viele Dinge ändern sich relativ rasch nach der Geburt: Erziehungvorsätze werden zügig über Bord geworfen, man muss schließlich irgendwie überleben. Beim zweiten Kind ist sowieso alles anders oder hat schon mal jemand probiert, dem Einjährigen ein Eis zu verweigern, während der Vierjährige daneben genüsslich sein Jolly lutscht? Eben.

Es gibt drei Grundsatzentscheidungen, die Flo und ich gemeinsam getroffen haben: Erstens wollen wir keine Eltern sein, deren Kinder irgendwelche Karrierevorstellungen der Eltern erfüllen müssen. Manchmal will der eigene Nachwuchs vielleicht ja lieber einmal in eine Trompete blasen oder Gitarre ausprobieren als Papas Traum von der Weltfußballerkarriere verwirklichen.

Zweitens wollen wir auch keine Eltern sein, die am Spielplatz lauthals damit protzen, was das Kind schon alles kann. Wer mag schon die Mamas und Papas, die der Welt ungefragt wissen lassen müssen, dass ihr Kind schon vor dem ersten Schultag ganze Aufsätze schreibt und im Karateunterricht als Jüngste den dunkelgrünen Gürtel hat.

Und die dritte Grundsatzentscheidung war, dass unseren Kindern auch mal fad sein darf: Wir wollen nicht montags ins Fußballtraining, dienstags zur musikalischen Früherziehung, mittwochs ins Kinderturnen, donnerstags in die Querflötenstunde, freitags in den Jonglierkurs und am Wochenende zur Feuerwehrübung. Tolle Hobbys, aber ein Nachmittag daheim bei einer gemeinsamen Partie Uno ist auch voll okay und unter uns gesagt einfach herrlich.

Natürlich kam alles anders

So haben wir uns das damals gedacht und natürlich ist jetzt alles anders. Vor einem Jahr hat Theo, damals 5, beschlossen, um alles in der Welt Skispringer zu werden. Jetzt wohnen wir momentan weit weg von Tirol, wo es mehr offizielle Skisprungschanzen als Bezirke gibt. Und man würde meinen, in der topografisch eher platten Gegend von Wien, Niederösterreich und dem Burgenland ist einfach nix mit Skispringen.

Das war zumindest meine Ansage, als Theo gemeint hat, er fängt jetzt mit dem Skispringen an, in der Hoffnung, dass der Wahnsinnswunsch sich damit erledigt hätte. Falsch gedacht. Denn natüüüüüürlich gibt es einen Skisprungverein in Wien, nämlich die Wiener Stadtadler. Das sind an die 30 Kinder mit ihren Eltern, die sich zwei Mal pro Woche zum Konditionstraining in der Hauptstadt treffen und am Wochenende dann im Mannschaftsbus zu den echten Schanzen in die Berge fahren. Im Winter wie auch im Sommer. Skispringen funktioniert auch ohne Schnee, wenn die Schanzen mit bewässerten Matten ausgelegt sind.

Wie das damals genau war mit Theos Entscheidung, hat Flo hier für Euch aufgeschrieben.

Oh Mann, war ich dagegen

Ich würde ja jetzt gern von mir behaupten, dass ich die coolste und gelassenste Mutter dieser Erde bin, deren Kinder selbstverständlich alles ausprobieren dürfen. Leider ist es aber nicht so. Als Theo mit der Skispringerei begonnen hat, war ich echt nicht begeistert und bin ziemlich auf der Bremse gestanden. Zum Einen weil Theo ja nach wie vor mit Abstand der Jüngste im Verein ist und ich fand, dass wir ihn da überfordern und zum Anderen weil ich – egoistischerweise – nicht all unsere Familienwochenenden getrennt verbringen wollte. Getrennt deshalb, weil Theo und Flo an den Wochenenden zu den Schanzen gefahren sind, während ich mit Klein-Noah zu Hause war. NICHT OPTIMAL. Und zu guter Letzt hab’ ich mir Sorgen gemacht: Wie kann man sich nur so einen gefährlichen Sport aussuchen???

So war das vor einem Jahr. Ein halbes Jahr lang war das Skispringen also eine Vater-Sohn-Geschichte. Freilich hab’ ich mir Videos und Fotos angeschaut und natürlich war ich stolz auf Theo. Und trotzdem war ich mir sicher, dass die Euphorie schnell zu Ende sein würde – so wie das bei vielen Kindern und einem plötzlichen Hobby ist.

Das haben wir daraus gelernt

Vor einem Jahr war alles also noch anders und ich hatte üüüüüberhaupt keine Ahnung. Mittlerweile sind die Wochenenden an der Schanze und das Konditionstraining unter der Woche zum Familienausflug geworden. Wir machen das jetzt gemeinsam. Und auch Noah liebt es schon sehr, weil er von den großen Kindern natürlich voll verwöhnt wird. Und so ein Wochenende komplett an der frischen Luft hat schon was. Lustig ist es außerdem, weil wir mittlerweile eine richtig nette Eltern-Trainer-Kinder-Community geworden sind, wo der Schmäh einfach rennt. Und Theos Motivation ist – zu unser aller Überraschung – nach wie vor ungebrochen.

Und soooo gefährlich ist der Sport gar nicht, hab’ ich mir schon mehrfach sagen lassen müssen. Es stimmt schon: Beim alpinen Skisport passiert so viel mehr, weil es nicht ansatzweise so kontrolliert abläuft wie das Skispringen.

Eltern-Grundsatz 1, das mit der Selbstverwirklichung, haben wir also eindeutig eingehalten. Wenn Theo dann in ein paar Jahren 90 oder 100 Meter weit springt, werd’ ich trotzdem lieber die Augen zumachen.

Grundsatz 2 ist heikel: Prahlen wollen wir nicht, aber cool finden wir das Hobby Skispringen schon. Macht schließlich nicht jeder und ich finds toll, dass Theo komplett was anderes macht, während 90 Prozent seiner Freunde ins Fußballtraining gehen.

Theo bei einem seiner ersten Wettkämpfe

Grundsatz 3 – den mit der Langeweile – haben wir aber völlig über Bord geworfen: Unser Großer will nämlich kein Training auslassen. An vier von sieben Wochentagen ist er also im hauptstädtischen Skiadlerhorst. Oder anders gerechnet: Für unseren kleinen Noah bleiben später einmal nur mehr drei freie Wochentage, wenn er später Curling-Profi, Dudelsackspieler oder Sambatänzer werden will.